Dienstag, 21. Juni 2016

Der hundertste Beitrag: Rezension von Dr. Friedrich Winterhager


Heinrich Prinz zu Schaumburg-Lippe: „Wiedergutmachung muss sein …“ Tagebuch 1938 / 1945 – 1947. Herausgegeben von Alexander vom Hofe. [Bearbeitet von Werner Lehfeldt.] Göttingen (MatrixMedia Verlag) 2016, m. Abb.; geb. 263 Seiten. 24,90 €

Es handelt sich hier um das Tagebuch des Offiziers Heinrich Prinz zu Schaumburg-Lippe (1894-1952), dem das Prädikat „Hochfürstliche Durchlaucht“ zumindest bis 1918 zustand. Im Niederdeutschen wurde er mit „Durchlauchten“ angeredet. - Er war der fünfte von sechs Söhnen des regierenden Fürsten Georg v. Schaumburg-Lippe, der bis 1911 regierte. Prinz Heinrichs ältester Bruder, Fürst Adolf II., war 1936 in Mexiko tödlich mit dem Flugzeug verunglückt. Ein zweitältester Bruder Moritz war bereits verstorben. Nun war der drittälteste Bruder, Prinz Wolrad, lange Zeit Chef des Gesamthauses. Der vierte Bruder, Prinz Stephan, war Diplomat. - Dazwischen steht dann unser Autor als fünfter Bruder. - Der jüngste Bruder, Prinz Friedrich Christian, war Ministerialrat im sog. Propaganda-Ministerium gewesen. Es gab auch zwei Schwestern, von denen eine als Kind und die andere als junge Frau verstorben sind.

Prinz Heinrich war verheiratet mit Erika Gräfin von Hardenberg. Mit ihr hatte er eine Tochter Dagmar, die später den  Kaufmann Christoph Kalau vom Hofe heiratete. Deren Sohn, der in Madrid lebende Alexander vom Hofe, ist nun Herausgeber dieses Buches und hat dazu ein wertvolles Vorwort beigesteuert.

Da der erste Teil des Tagebuches fast ausschließlich mit jagdlichen Themen ausgefüllt ist, hat man hier nun den zweiten Teil von 1938 und 1945 - 1947 publiziert.

Heinrich zu S. - L. wohnte damals in Nebengebäuden des Bückeburger Schlosses. An den Geschäften der Hofverwaltungen hatte er zu seinem Leidwesen als nachgeborener Prinz keinen Anteil. Er hat eine Kadettenausbildung in Berlin-Lichterfelde durchlaufen und legte dabei das Abitur ab. Am Ersten Weltkrieg nahm er als aktiver Offizier teil. Er war dann auch Freimaurer - oder zumindest Mitglied einer dem Freimaurertum ähnlichen Loge - und gehörte zum Kreis um den esoterischen Schriftsteller Joseph Schneiderfranken (Bo Yin Ra). Dieser hatte ihm geraten, von der Politik fernzubleiben. Außer etwas Landwirtschaft und Viehzucht ging Heinrich zu S. - L.  eigentlich keiner geregelten Tätigkeit nach. - Im Zweiten Weltkrieg reaktiviert, leistete er als Hauptmann des Heeres  1939-1940 Dienst im Westen (Sicherungs-Truppenteil) und wurde dann wie die meisten Prinzen zur Disposition gestellt.

Er schilderte in seinem Tagebuch die Eindrücke durch die äußeren Ereignisse: Autobahnbau, militärische Aufrüstung, die Sudetenkrise, das Münchener Abkommen, den Weg in den Krieg, die wechselvollen Kriegsereignisse, die eindeutige deutsche Niederlage. Dann folgen die Besetzung durch die Amerikaner, manche marodierende Polen, das inkonsequente britische Besatzungsregime und die Sorge um die Nahrung und Heizung und um den Erhalt der natürlichen Ressourcen im  kleinen Land Schaumburg-Lippe. Es existierte staatsrechtlich bis zum November 1946.

Er polemisierte gegen den etwas farblosen älteren Bruder Fürst Wolrad. (Der Fürstentitel stand ihm nur aus Höflichkeit, nicht gemäß dem Namensrecht zu.) Er lasse sich brieflich mit „gnädigster Fürst und Herr“ anreden und trage doch das Braunhemd der SA. Auch bei einer staatlichen Trauerfeier für einen Diplomaten im Bückeburger Schloss trug Wolrad gewissermaßen als Hausherr ein solches Braunhemd.  Er (W.) durfte nach 1945 seinen Wohnort für zwei Jahre nicht verlassen. – Heinrichs Hoffnung, ihn als Chef des Hauses nach 1945 ablösen zu können, erfüllte sich dann aber auch nicht.

In diesem Tagebuch denkt der Verfasser viel über die inneren Grundlagen einer jeden staatlichen Gemeinschaft nach und verwarf das Massen- oder Führerprinzip. - Zur Tarnung musste er in den Zeiten des NS-Regimes auch dementsprechende angepasste Passagen einbauen, wie er später einräumte oder es sich zurechtlegte, aber seine Gegnerschaft zu den braunen Machthabern und sein Hinneigen zum monarchischen Gedanken und zum entschiedenen Christentum wird hier schon ziemlich deutlich. Später im Text lobte er die innere Haltung der vertriebenen und enteigneten ostelbischen Gutsbesitzer, die unter Zurücklassung ihrer Habe nach Westen geflohen waren und doch nicht verzagten. – Er lernte nach dem Zusammenbruch des deutschen Staates auch die Eigensucht und Wehleidigkeit der Menschen im Zeichen des Hungers und der Kälte (in der britischen Zone) kennen. Auch er selbst wirkt in diesem Buch manchmal etwas eigensüchtig. – Zu dem damaligen Vorsitzenden der Regierung dieses kleinen Landes Schaumburg-Lippe, Heinrich Bövers, hatte er dann ein recht gutes Verhältnis.  – Etwas überzogen ist im Allgemeinen sein Lob der wirtschaftlichen Privatinitiative im Kontrast zur Sozialgesetzgebung. Seine Ablehnung des gesetzlichen Achtstundentages wirkte dann schon etwas obsolet. Zuzustimmen ist ihm, wenn er staatliche Arbeitsbeschaffungsprogramme nur als erste Übergangsmaßnamen ansieht.

Er befürwortete dann auch sehr den Gedanken der Vereinigten Staaten von Europa und trat zugleich für den Erhalt der föderalen deutschen Einzelstaaten ein.

Als altgedienter Waidmann war er darüber verstimmt, dass die Besatzungssoldaten und befreite Ausländer wahllos das Wild in den Wäldern erlegten und das geschossene oder verletzte Wild nicht einsammelten oder ihm nachgingen. Er warf ihnen auch die Verschiebung von Tafelsilber und  den unkorrekten Umgang mit seinen Möbeln vor. – Seinem älteren Bruder nahm er es etwas übel, dass dieser seinen Sohn, der auf Urlaub im Raum Bückeburg weilte, beim Herannahen westlicher Truppen (Amerikaner) zur Rückkehr zu seiner Wehrmacht-Truppe überredete. So ist Erbprinz Georg-Wilhelm dann Ende April 1945 bei Meißen (Sachsen) gefallen.

Prinz Heinrich erlebte das Kriegsende als Volkssturm-Mann in Bückeburg. Seine Familie hatte er zunächst im Jagdschloss Baum bei Bückeburg untergebracht, dann in einer Försterei Rusbend. – Mit den amerikanischen und britischen Offizieren und einem amerikanischen Militärjuristen hat er dann gute oder durchwachsen-mittelmäßige Erfahrungen gemacht. Er berichtete danach auch von einem Besuch des in Mitteldeutschland lebenden liberalen Juristen Dr. Wilhelm Külz, der 1926 Reichsinnenminister und noch früher Oberbürgermeister von Bückeburg gewesen war.

Es handelt sich um das Werk eines begabten, christlich-konservativen (evangelisch-reformierten) Aristokraten, der vom Fronterlebnis des Ersten Weltkriegs mitgeprägt war. Er schildert anschaulich die Abläufe in  der Fürstendynastie Schaumburg-Lippe einschließlich der Nebenlinie Nachod (Böhmen). Es ist eine Mischung von Weltschmerz und Realismus, weniger von tätigem Mitwirken an den Ereignissen. - Lesenswert ist das anregende Werk durchaus.

Es ist ein Namensverzeichnis des Hauses Schaumburg-Lippe, ein allgemeines Namensverzeichnis und ein Anmerkungsteil dem Text angefügt - sowie auch eine Stammtafel des ehemaligen fürstlichen Hauses Schaumburg-Lippe. Den Anmerkungsteil erstellte Prof. Dr. Dr. h. c. Werner Lehfeldt.


Friedrich Winterhager


Friedrich Winterhager
zur Person Dr. Friedrich Winterhager


ISBN-13: 978-8460985235 

ISBN-13: 978-8461554508 ISBN 978-3-932313-90-5

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