„Rassenhass – ein Armutszeugnis“
Braunschweig Seine Tagebücher zeigen den Schaumburger Prinzen Heinrich als konservativen, aber hellsichtigen Nazi-Gegner.
Von Florian Arnold
07.10.2016 - 19:02 Uhr
Es war der zweitkleinste Flächenstaat im Deutschen Reich, das Fürstentum Schaumburg-Lippe mit seiner Residenzstadt Bückeburg. Der letzte regierende Fürst Adolf (1883-1936) musste nach der Novemberrevolution 1918 abdanken, wie alle deutschen Fürsten.
Adolf war der älteste von sechs Söhnen Fürst Georgs (1846-1911). Er kam 1936 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Da der Zweitgeborene Moritz bereits 1920 gestorben war, wurde Woldemar, der Drittälteste, Herr in Bückeburg. Er und zwei weitere Brüder waren mehr oder weniger tief ins Naziregime verstrickt, wie Alexander vom Hofe in seinem Buch „Vier Prinzen zu Schaumburg-Lippe und das parallele Unrechtssystem“ dargelegt hatte. Die Ausnahme war sein Großvater, Prinz Heinrich (1894-1952). Dessen Tagebücher aus den Jahren 1938 und 1945-47 hat vom Hofe nun als Buch veröffentlicht – übrigens, wie er andeutete, erneut nicht gerade zum Wohlgefallen seines Großcousins und heutigen Schlossherrn von Bückeburg, Alexander zu Schaumburg-Lippe.
Am Donnerstag stellte vom Hofe sein Buch im Institut für Braunschweigische Regionalgeschichte vor. Wertkonservativ, monarchistisch und christlich eingestellt, „galt Heinrich als schwarzes Schaf der Familie“, sagte vom Hofe. 1932 war er Mitgründer einer Freimaurerloge, die Rassenhass ausdrücklich zum „Armutszeugnis der eigenen Rasse erklärte“.
Nach dem Dienst im Ersten Weltkrieg lebte Heinrich auf Schloss Bückeburg. Im August 1938 notiert der damals 44-Jährige gleichsam kopfschüttelnd, dass sein älterer Bruder, der Erbprinz Woldemar, zu einer Trauerfeier in SA-Uniform erschien. Und führt weiter aus: „Man rechnet mit Kriegsausbruch im Oktober. (...) Der Ausbau der Verteidigungsstellung im Westen geht fieberhaft weiter (...) Das Volk lässt die Ohren hängen und ist sehr gegen Krieg eingestellt.“
Die Einträge des Jahres 1938 enden im November mit Notizen zur Reichspogromnacht. „Es scheint, dass der letzte vernichtende Schlag gegen das Judentum in Deutschland geführt wird“, so Heinrich. „Es ist sehr spannend, wie das Ausland und ob es überhaupt reagieren wird.“
Im Frühjahr 1945 setzen die Einträge wieder ein. Der Adlige urteilt sehr kritisch über seine Landsleute. „Man bedauert kassierte kleine Leute, die früher zu den bestgehassten Menschen in der Stadt gehörten, heute als verführte, die doch eigentlich keine persönlichen Vorteile gehabt hätten (...) Der deutsche Mittelstand ist denkbar unzuverlässig, ohne eigene Grundsätze und ein Opportunist.“
Über die Jugend notiert Heinrich: „Es zeigt sich immer mehr, wie fest die Nazierziehung sitzt und die Jugend verdorben hat. Sie ist der Meinung, alles zu können. (...) Dabei können sie noch nicht das allereinfachste Essen kochen. So sah der ganze Nationalsozialismus aus. Nur Dilettanten.“
Über die Frau seines jüngsten Bruders Friedrich-Christian, als zeitweiser Adjutant Goebbels’ nach Kriegsende inhaftiert, schreibt Heinrich: „Ich nehme sie nicht auf. Sie haben zuviel Menschen durch Denunziation unglücklich gemacht. Sie ist ein miserabler Charakter. Eiskalt, hochmütig, berechnend.“
An der Idee eines besseren Deutschtums aber hält Heinrich fest: „Der Begriff deutsch ist nicht gebunden an Landesgrenzen, nicht völkisch oder rassisch begrenzt. Nein, es gehören alle Menschen dazu, die sich eins wissen in ihren tiefsten seelischen Schwingungen mit den deutschen Schöpfern unvergänglicher geistiger Werte, indem sie ihren Niederschlag gefunden haben im geschriebenen Wort, in der Musik oder in der bildenden Kunst.“
Alexander vom Hofe (Hg): „Wiedergutmachung muss sein...“ Matrix-Media-Vlg., 263 Seiten, 24,90 Euro.
BZ 8.10.2016
|
Heinrich Prinz von Hannover; AvH; Prof. Dr. Biegel |